Liebe Schwestern und Brüder!
Der Advent zieht ins Land und mit ihm eine Zeit, in der Gott, der zu uns kommen will, an die Türen klopft. Es ist eine Zeit, in der Er in dem, was sein innerstes Anliegen ist, ernstgenommen werden möchte: In der Liebe.
Aber der Advent 96 ist auch eine Zeit, in der Sparpakete geschnürt werden, und Hirtenbriefe wie der meine haben vielleicht darum nicht die allerbesten Startbedingungen. Ich weiß, dass manche unter uns die Einschränkungen wirklich spüren.
Und trotzdem wage ich mit diesem Advent die erneute Bitte. Wir dürfen nicht vergessen: Die Not schnürt rund um die Erde Traglasten der Entbehrung und der Armut, denen gegenüber unsere Sparpaketauswirkungen für viele Leichtgewichte sind. Einerseits muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Brutalität der Ausbeutung offenkundig Reisefreiheit in allen Staaten der Erde hat. Aber die Solidarität, das Mitleid und die Hilfsbereitschaft haben sie eben auch. Und das müssen wir ausnützen.
Und so tritt die Nächstenliebe ihre alljährliche Weltreise im Advent wieder an. Sie fährt nunmehr unter dem Titel „Bruder und Schwester in Not“. Wenn ich ganz ehrlich bin - ich war zunächst von der Namensänderung nicht begeistert. „Bruder in Not“ hat sich zu einer derart bewährten, verlässlichen und effizienten Firma entwickelt, dass ich wie ein alter Geschäftsmann gegen die Erweiterung der erfolgreichen Firmenmarke war. Aber ich gestehe offen - wie ich vor einigen Tagen die Bilder verhungerter Frauen und Kinder in Zaire gesehen habe, war ich auf einmal mit „Bruder und Schwester in Not“ einverstanden. Frauenleid ist doch sehr oft vertieftes Leid. Kinderleid ist doch sehr oft auch Verzweiflung der Mütter ...
So soll also die alte Reisefirma der Nächstenliebe mit dem neuen Namen wieder ihre Good-will-tour zu Euch antreten. Und ich bitte alle, denen es möglich ist, die Weltreise des guten Herzens und der offenen Hand mitzumachen.
Wenn wir in der Ewigkeit einmal erfahren, wieviel Hilfe und Hoffnung diese Kreuzfahrt der Liebe über die Erde gesät hat, dann wird das alle Erinnerungen an herrliche Ausflüge, Traumreisen und Flüge über den Wolken in den Schatten stellen. Denn in der Heiligen Schrift heißt es, dass in jener anderen, lichten und glücklichen Welt nur eines bleibt: Die Liebe.
Mit Segensgruß
Euer Reinhold Stecher
Bischof von Innsbruck
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