Bischof Stecher Gedächtnisverein

Hirtenbrief zur Aktion "Bruder in Not"

19. November 1981

Liebe Gläubige!

Bei der Lesung des Breviers bin ich auf eine Schriftstelle gestoßen, die ich als Leitwort an den Beginn dieses Briefes stellen möchte. Der heilige Paulus schreibt an die Galater (6,9-10): „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun. Denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind....“

Wenn ich um Eure Mithilfe bei der Sammlung „Bruder in Not“ bitte, so muss ich gleich mit einem Dank für die 12,4 Millionen, die voriges Jahr gespendet wurden, beginnen. Ich bin sicher, dass die Mahnung des Apostels auf bereite Herzen stoßen wird: „Lasst uns nicht müde werden, das Gute ·zu tun...“ Gott möchte nicht, dass wir mit müder, gequälter Geste eine lästige Pflicht der Wohltätigkeit erfüllen. Es soll echte Freude am „Helfenkönnen“ durch die Seele ziehen. Das Geld, das wir geben, will ja nicht nur da und dort materielle Hilfe bringen. Es soll damit auch ein Segen in fremde Länder ziehen, und in den Werken, die errichtet werden, soll ein Stück Gottesreich aufblühen. Darum wollen wir zu unserer Gabe auch das Herz dazulegen.

Es darf uns auch noch ein Wort des Apostels zu denken geben: „Tut Gutes, solange ihr Zeit habt...“ Noch haben wir Zeit. Noch ist unsere Situation so, dass wir vielerorts helfen können. Es könnte einmal rasch anders sein, weil irgendwo ein eiserner Vorhang herunterrasselt oder weil ein lokaler Krieg zwischen Machthabern tobt, denen das Schicksal hungernder Kinder egal ist und die die Hilfssendungen bestenfalls für ihre Armeen verwenden würden. Es könnte einmal rasch anders sein, weil wir selbst keine Garantie dafür haben, eine Insel des Friedens und des Wohlstands zu bleiben. Darum sollte das Wort des Apostels in uns nachhallen: „Tut Gutes, solange ihr Zeit habt...“

Und noch eines verspricht der Apostel: „Ihr werdet ernten…“ Damit meint er sicher, dass vor Gott kein gutes Werk ohne Frucht bleiben wird, dass es bei Ihm das Wort „umsonst“ nicht gibt. Gott wird vergelten.

Aber es ist ganz verständlich, dass großzügig schenkende Menschen auch wissen wollen, ob ihre Gabe richtig ankommt. Man darf wohl ohne Überheblichkeit sagen, dass die kirchlichen Hilfsorganisationen, allen voran die Caritas, einen weltweit guten Ruf haben. Wenn man bedenkt, dass die FAO, die Organisation der UNO für die Ernährung der Völker, 65 Prozent ihres Gesamtaufwandes für ihren eigenen Beamtenapparat braucht und nur 35 Prozent den Hungernden zugute kommen, dann nimmt sich dieses Verhältnis bei „Bruder in Not“ ganz anders aus. Alle hierzulande daran Beteiligten arbeiten ehrenamtlich oder werden jedenfalls nicht von „Bruder in Not“ bezahlt. Dasselbe gilt von den Empfangsdiözesen. Etwaige notwendige Reisen zur Abwicklung von Projekten oder ihrer Kontrolle werden nicht von Bruder-in-Not-Geldern bezahlt. So ist der Verwaltungsaufwand, der Schrecken aller öffentlichen Hilfe, auf ein Minimum reduziert. 99 Prozent der gespendeten Gelder werden für die Bedürftigen bzw. die geplanten Werke verwendet.

Und nun zu den Hauptanliegen unserer diesjährigen Sammlung. Das erste Projekt gilt dem Ausbau eines Werkes, das ein Südtiroler Missionar in Kenia begonnen hat. Er hat die bedauernswerten Opfer der Kinderlähmung in einem notdürftig eingerichteten Zentrum gesammelt, wo sie Betreuung und Ausbildung erhalten sollen. Dieses Zentrum soll mit unserer Hilfe in einer bescheidenen Weise ausgebaut werden, sodass die Wasser- und Stromversorgung funktioniert. Grundausbildung und Orthopädiewerkstätte werden den Behinderten die Zukunft sichern. Gleichzeitig wird mit den von uns zur Verfügung gestellten Mitteln die Schluckimpfung eingeführt, damit auch dort die Kinderlähmung zum Verschwinden gebracht werden kann.

Das zweite Projekt betrifft eine Soforthilfe, die einer unmittelbar dringenden Not begegnen will, die aber vielleicht einer besonders eindringlichen Bitte bedarf. Polen ist in unseren Massenmedien der tägliche Dauerbrenner - und da geschieht es leicht, dass unter dem Eindruck einer Art Überinformation unser Mitleid mit den unter den Verhältnissen schwer Leidenden abstumpft. Für viele Menschen ist es ja gar nicht möglich, stundenlang um die einfachsten Bedürfnisse des Lebens vor Geschäften anzustehen. In einer derartigen Notsituation trifft es die sozial Schwächsten in besonderer Weise. Das heißt, die drei am meisten Betroffenen sind kinderreiche Familien, Alte,

Kranke und Heiminsassen. Die Wunschliste, die uns vom Bischof der Diözese Pelplin in Nordpolen bei einem Besuch in Innsbruck überreicht worden ist, ist äußerst bescheiden: Fette, Kindernahrungsmittel, Grieß, Haferflocken und Waschmittel bedeuten ein Königreich...

Transporte der Caritas werden die Waren direkt in das Zielgebiet bringen, wo ein beauftragter Priester der Diözese die Verteilung an die obengenannten Zielgruppen leiten wird.

Das dritte Projekt betrifft Hilfe zur Selbsthilfe. In der Sahelzone des Staates Mali in Westafrika, in dessen Nähe noch immer das große Brunnenprojekt der vergangenen Jahre läuft, soll ein Ausbildungszentrum errichtet werden, das die Menschen der Diözese Kayes befähigt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der Rohbau ist schon fertig, unsere Sammlung soll die Einrichtung ermöglichen. Neben religiöser Bildung soll vor allem auch die Kenntnis landwirtschaftlicher Methoden vermittelt werden, die den dortigen Verhältnissen entsprechen und die Ernährung der Bevölkerung sichern.

So bitte ich Euch, liebe Gläubige, in Christi Namen um Eure Gabe. Ich weiß, dass es menschlich befriedigender ist, von Hand zu Hand zu schenken. In „Bruder in Not“ sind wir zur Fernstenliebe aufgerufen. Vor langer Zeit haben Tirols Sänger das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ in alle Welt hinausgetragen. In dieser Weltstunde, in der wir leben, soll aus dem kleinen Land im Gebirge Hilfe in ferne Länder strömen, damit an vielen Orten etwas von der Freude über das Kommen Christi aufleuchtet. Ich danke Euch jetzt schon von ganzem Herzen!

 

Innsbruck, am Fest der hl. Elisabeth 1981

Reinhold Stecher

Bischof von Innsbruck

 

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