Bischof Stecher Gedächtnisverein

Die feine Familie

Von der Freundschaft zwischen der Familie Ladurner und Reinhold Stecher

Eine kleine Begebenheit, die mehr als 40 Jahre zurückliegt: Unsere winzige Jüngste unterhält sich angeregt mit ihm, ist aber nicht seiner Meinung. „Hast Du eine Ahnung, Kaktus!“ ruft sie keck und er lacht schallend. „Aber Schatzi, was soll das heißen?“ fragen wir Eltern etwas peinlich berührt. Die Antwort der Kleinen ist kurz und bündig: „Er heißt doch Stecherle, und der Kaktus sticht“. Ihm hat der kindliche Ausspruch gefallen, und über die Jahrzehnte hat er ihn immer wieder zitiert.

Als Schüler des „Paulinums“ hat mein lieber Mann Paul den jungen Priester Reinhold Stecher 1949 kennengelernt. Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis wurde später eine herzliche Freund- schaft, die sich auf unsere junge Familie übertragen hat. Reinhold Stecher hat uns getraut, uns begleitet, die Kinder und Enkel getauft. Seinem unaufdringlichen, seelsorglichen Mit- gehen verdanken wir unendlich viel. Und immer war es ein kleines Fest, wenn er zu uns kam. Die Kinder liebten ihn. Mit seinen Liedern, Witzen, Geschichten und Zeichnungen war er für sie ein guter Kumpel. „Unser viertes Kind, aber nicht das bravste“ nannten sie ihn manchmal spitzbübisch, kam es doch bei gemeinsamen Ausflügen mit ihm des Öfteren zu Tschurtschen- und sogar zu Kuhfladen-Schlachten.

Ob heiter, ausgelassen oder nachdenklich – gemeinsames Tun verbindet. Gerade weil „das Stecherle“ so viel Frohsinn verbreitete, hatten Lebensernst und Glaube zugleich einen ganz selbstverständlichen Platz – gemäß der alten Weisheit: „Dem Clown hört man lieber zu als dem Prediger.“

Lebensfreude und Freude an Gott waren bei Reinhold eins. Er hat uns bei Bergtouren und Klettersteigen geführt und uns ermutigende, unvergessliche Gipfelerlebnisse geschenkt. Unsere spirituellen Sternstunden entsprangen seiner Tiefe und seinem Talent, Schwieriges einfach zu erklären. Viele geistige Fenster und Türen hat er uns aufgemacht – eine Freund- schaft, die inneres Wachstum fördert.

Unsere kleine Gegengabe war vielleicht dieses Stück Ufer, das Familie heißt und ein wenig Heimat und Erdung gibt. „Nur dass Du’s weißt, uns ist es ganz wurscht, dass Du jetzt Bischof bist! Für uns bist Du einfach der Reinhold“, verkündeten ihm 1981 unsere Kinder. Und weil dieser anfangs so sehr unter der Bischofsbürde litt, brachte ihm mein mitfühlender Paul, einem plötzlichen Einfall folgend, zur Entspannung seinen eigenen Malkasten, da Reinhold bis dahin ausschließlich gezeichnet hatte. Die Tür zu den Farben war offen – eine Königs- idee, durch die so viel Erfreuliches und Gutes entstanden ist.

Doch Familie ist nicht nur ein Ort der Erholung, sondern auch ein fortwährender Lern- prozess. Da stoßen Meinungen aufeinander – und das tut gut. Auseinandersetzung ist Leben. Wer als Alleinstehender in Familie eintaucht, muss sich den kritischen, widerborstigen Fragen der Jugendlichen und ihren Gewohnheiten stellen.

Ein Beispiel: Als Ausgleich zu unseren alpinen Anstrengungen im Vinschgau hatte uns Reinhold einmal in ein feines Restaurant eingeladen. Da die Speisen exzellent waren, setzte gleich das gegenseitige Kosten-Lassen und Füttern quer über den Tisch ein. Unter dem schrägen Blick des Kellners äußerte sich unser sonst so gemütlicher Gastgeber etwas irritiert, doch chancenlos. Wie unter dem geheimen Motto „Hast Du eine Ahnung, Kaktus!“, erklärten unsere Heranwachsenden, dass das eben zu einer Familie gehört. Dieser Argumentation konnte er sich nicht entziehen und überreichte uns am nächsten Morgen lachend die Zeichnung „Die feine Familie“, ein Titel, den er uns noch öfter, über uns witzelnd, verliehen hat.
Als er am 26. Jänner 2013 bei seiner „feinen Familie“ zu Mittag aß, sprühte er vor Humor und Herzlichkeit. Drei Tage später, beim leisen Heimgehen zu Gott, hätte er vielleicht nach irdischen Maßstäben denken können: „Hattest Du eine Ahnung, Kaktus!“, denn „kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben“ ...

Den Funkenflug der frohen Botschaft herzhaft immer wieder neu zu entfachen, das wäre unser aller innigster Dank an Reinhold Stecher.
Ingeborg Laduner, Innsbruck, im „Tiroler Sonntag“, 2013

Ingeborg Ladurner

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